Am Samstag, den 8. Juli 2013 organisierte eine Gruppe um den Essener Radsportler Thomas Terbeck zum wiederholten Mal eine außergewöhnliche Veranstaltung im Ruhrgebiet, die hunderte von Gravelbiker aus der ganzen Republik anzog.
Auf der ausgearbeiteten, 160 Kilometern (100 Miles) messenden Radstrecke mit insgesamt 1500 Höhenmetern konnten die Sportler nachts das Ruhrgebiet durchqueren, denn der Start erfolgte um 19:45 Uhr in der Essener Innenstadt bei 34 Grad Celsius. Daneben gab es auch noch die „Bummelrunde“ mit über 80 Kilometer Länge und entsprechend weniger Höhenmetern. Für die Emder Laufgemeinschaft nahm Andreas Broschinski auf der 160-Kilometer-Tour teil.
Die Touren waren nicht als Rennen, sondern als Spaßveranstaltungen mit sportlichem Charakter ausgelegt. Der Organisator konnte bei Verpflegung, Defekt, Erschöpfung und Unfall aufgrund der Streckenlänge nicht direkt helfen und hatte dies im Vorfeld ausgeschlossen, sodass jeder Fahrer für sich verantwortlich war und nur auf die Hilfe von Mitfahrern hoffen konnte (in Fachkreisen wird diese Veranstaltungsform auch "Brevet" genannt). Die drei Kontrollpunkte wurden allerdings so gelegt, dass alle Fahrer eine geöffnete Tankstelle anfahren mussten und sich so verpflegen konnten.
Die 160-Kilometer-Tour führte zunächst kilometerlang auf verkehrsarmen Straßen und Waldwegen aus Essen heraus, um bei Anbruch der Nachtdämmerung der Ruhr in einigen Kilometern Entfernung flussaufwärts nach Witten zu folgen. Den Fahrern war freigestellt, alleine oder in Gruppen zu fahren, doch jeder stellte schnell fest, dass aufgrund der herrschenden Trockenheit so viel Staub aufgewirbelt wurde, dass die Schlussfahrer einer Gruppe Probleme mit der Sicht bekamen. In Bochum schauten die Teilnehmer ungläubig auf ihren GPS-Track, denn die Tour führte durch das Parkhaus der dortigen Universität. Als besonderes Zwischenziel wurde das Kaiser-Wilhelm-Denkmal in der Nähe von Schwerte auf 245 Metern Höhe angefahren.
Den vielen einheimischen Teilnehmern dürften Teilstücke der Tour durch das Ruhrgebiet bekannt gewesen sein, doch diese Nachttour hatte ihre besonderen Reize und Herausforderungen. Der Sonnenunter- und aufgang waren die Highlights der nächtlichen Radfahrt, dazu kamen die fast auto- und menschenleeren Großstädte und die traumhafte Ruhe beim Cruisen durch Dörfer, Felder und Wälder des Ruhrpotts. Der menschliche Biorhythmus war auf diese nächtliche Belastung nicht eingestellt, dazu kamen noch die technischen Herausforderungen einer Nachtfahrt. Auf Singletrails, Sand-, Schotter- und Waldböden waren die Fahrer nur mit breiten Stollenbereifungen und außergewöhnlich starken Beleuchtungsanlagen sicher unterwegs, die bei den meisten Teilnehmer auch nicht ganz gesetzeskonform ausfielen. Die Navigation erfolgte ausnahmslos auf GPS, sodass die Sportler auch nachts permanent auf Handy, Navigationsgerät, Mitfahrer und Streckenbeschaffenheit achten mussten. Die Streckenführung war sehr abwechslungsreich ausgearbeitet, denn die Teilnehmer fuhren oft einige Kilometer durch menschenleere Innenstädte, um dann kurze Zeit später auf einen Wander- oder Waldweg abzubiegen. Nachts wurden nicht selten die teilweise versteckten Abzweigungen der Wege verpasst, sodass ganze Fahrergruppen daran vorbei fuhren, stoppten, wendeten und sich neu formieren mussten. Mehrmals ginge es durch Mais- und Rübenfelder, auf denen ein Trampelpfad erkennbar war. Prädestiniert für solche Touren waren die von der Industrie entwickelten und vom Rennrad und Cyclecrossbike abgeleiteten Gravelbikes (=Schotterräder), die hohe Geschwindigkeiten auf Asphalt- aber auch auf Schotterwegen zuließen und gut im Gelände eingesetzt werden konnten.
Erst in den späten Nachtstunden fiel das Thermometer auf unter 25 Grad, als die Radsportler den Phönixsee in Dortmund umrundeten. Und immer wieder führte die ausgearbeitete Strecke auf alte Bahntrassen zurück, die vor Jahren als Radweg umfunktioniert wurden. Auf diesen teilweise schnurgeraden, nur mit minimaler Steigung oder Gefälle ausgelegten Trassen konnten die Sportler ordentlich in die Pedale treten und kamen je nach Streckenzustand auf Geschwindigkeiten jenseits der 40 Kilometer. Vereinzelte Abschnitte folgten der Emscher und dem Dortmund-Ems-Kanal, um dann im großen Bogen um Recklinghausen herumzufahren.
Kurz vor dem Ziel erwartete die Teilnehmer noch eine Herausforderung, denn nach 158 Kilometern mussten alle die ehemaligen Halde Hoheward mit einer Höhe von 152 Metern erklimmen. Broschinski kam um 5:00 Uhr morgens ins Ziel und genoss das vom Veranstalter bereitgestellte Frühstück unter dem 35 Meter hohen Horizontobservatorium mit Blick auf den Sonnenaufgang. Broschinski beendete die Veranstaltung, verdreckt, durchgeschwitzt aber mit einem Lächeln im Gesicht und fuhr dann weitere 30 Kilometer über Asphalt- und Schotterwege zum Startpunkt der Veranstaltung zurück, denn die „Night of the 100 miles“ war nicht als Rundkurs ausgelegt.
Bericht: Andreas Broschinski